Nach dem Monsun – eine Reise nach Westbengalen
Der Himmel ist bedeckt, ab und zu fällt etwas Regen. Die Luft riecht förmlich nach Feuchtigkeit und kleine Schweißperlen bilden sich auf meiner Oberlippe. Der Monsun in Westbengalen ist dieses Jahr sehr spät dran. Aber das tut meiner Erkundungstour keinen Abbruch. Im Gegenteil, es passt irgendwie. Mein morgendlicher Spaziergang durch Azimganj zeigt mir ein dörfliches, ursprüngliches Indien. Ein frühes Tuck-Tuck durchbricht die Stille und ist auch gleich wieder verschwunden. Hunde begrüßen sich, ab und zu tritt ein Bewohner auf die schmale Straße. Ich bin der oder besser die einzige Europäerin weit und breit.
Hier war mal das Zentrum der Macht und des Handels. Kaum zu glauben, dass in dieser verwaisten Region einst 5% des gesamten Welthandels erwirtschaftet wurde. Nur die zahlreichen, überwiegend zerfallenen Paläste und imposanten Herrenhäuser erzählen noch von der einstigen Opulenz. Bari Kothi ist eines davon.
Die Auferstehung von Bari Kothi
Das im Familienbesitz befindliche Haus wurde aufwendig restauriert und lässt erahnen welch Pracht und Reichtum einst vorhanden war. Ein normaler Safe reichte nicht. Es gab ganze, mit Stahlwänden gesicherte Räume die zur Aufbewahrung von Edelsteinen, Schmuck und Bargeld dienten. Darshan, der als Kind noch hier lebte, führte mich durch die restaurierten sowie die noch in Arbeit befindlichen Bereiche. Verwinkelte Gänge, Innenhöfe und 3 Dachterrassen, jede davon mit einem anderen einzigartigen Ausblick auf alte Paläste, den Ganges oder auf Tempelanlagen. Es hat alles etwas von einem Abenteuerspielplatz für Erwachsene. Besonders faszinierend sind die engen Geheimgänge, die den Bewohnern bei Angriffen zur Flicht dienten.
Wie konnte es passieren, dass dieser Reichtum so zerfallen und komplett verschwunden ist? Diese Frage lies mich nicht los. Jeden Abend haben wir uns bei einem Cocktail angeregt über die Geschichte Westbengalens und unsere unterschiedlichen Kulturen unterhalten. Eine zufriedenstellende Antwort auf meine Frage fehlt mir aber immer noch.
Die Begeisterung für die eigene Historie und der Enthusiasmus mit dem Darshan sein Projekt der regionalen Wiederbelebung vorantreibt, verdient meine totale Bewunderung. Dabei steht nicht nur die Sanierung der Bauwerke im Focus. Vielmehr ist es sein Bestreben, dass Westbengalen aus seinem Dornröschenschlaf geweckt wird.
Die Menschen der Umgebung sollen dabei von Anfang an mit eingebunden und gefördert werden. Somit werden alle Mitarbeiter, egal ob im Bau, im Service oder als Guide, lokal rekrutiert und hier ausgebildet. Bari Kothi ist weit mehr als nur ein weiteres Heritage Hotel. Es geht nicht um elegante, schöne Zimmer, die zweifelsohne vorhanden sind, sondern primär um ein kulturelles Erlebnis.
Tempel und Palastanlagen
In kurzer Entfernung von je nur 1-2 Stunden treffe ich auf den Hazarduari und den Katgola Palast, die Nizamat Imabara sowie auf diverse Jain Tempel. Besonders beeindruckt haben mich hier zwei Augen einer Gottheit, die mit Silberplatten dargestellt waren. Ursprünglich bestanden sie allerdings vollständig aus reinen Diamanten.
Indiens Küchenvielfalt
Ein nicht zu vernachlässigender Teil der Erfahrung ist die kulinarische Vielfalt Indiens, die mich immer wieder verblüfft. Dabei dachte ich schon alles zu kennen. Ich wurde eines besseren belehrt. Die Küche Westbengalens ist weniger scharf, aber dafür stark von Senf geprägt. Senföl und Senfkörner finden hier eine breite Verwendung. Vollständig neuartig war für mich die Sheherwali Küche. Ungewohnte Gewürzkombinationen und unbekannte Gemüsesorten lassen nicht nur das Vegetarier Herz höher schlagen.
Anreise
Zur Anreise nach Azimganj hatte ich die Bahn gewählt, Indiens größten Arbeitgeber. Eine Bahnfahrt in Indien muss man erlebt haben. Aus den Lautsprechern der Howrah Station in Kolkata plärrt ununterbrochen eine Ansage nach der anderen zu Abfahrten oder Ankünften. Ich frage mich dabei, wieso man den Klingelton, der beim Einschalten der Anlagen erfolgt, nicht einfach weglässt. Vier Stunden dauert die Fahrt mit dem Zug, zwei Stunden weniger als mit dem Auto. Dabei lerne ich einen jungen Inder kennen, der seit einiger Zeit in Neuseeland lebt und arbeitet. Die Bahnfahrt vergeht wie im Flug. Auf fremde Menschen zu treffen, sich auszutauschen, das ist einer der Gründe, warum ich bevorzugt allein reise. In einer Gruppe bieten sich derartige Gelegenheiten seltener. Dort bleibt man vielmehr unter sich.
Kalkutta – Raj Bari
Welcome to Raj Bari. Ajay winkt mir fröhlich vom oberen Flurgang gegenüber zu. Raj Bari, ca. 2 Std. südlich vom Kolkatta Airport, war mein zweites Ziel in Westbengalen.
Auch hierbei handelt es sich um ein altes Herrenhaus. Mit ausgeprägt gutem Gespür für Stil und viel Einfühlungsvermögen ist es Ajay gelungen, ein luxuriöses Eco-Resort mit klarer, klassischer Linie zu schaffen. Der Charme liegt in der Verschmelzung antiker Strukturen mit modernen Elementen. Säulen und Wände sind geprägt von ursprünglichem Mauerwerk mit gezielt belassenen, dekorativen Flecken aus weißem Putz. Neue Marmorfliesen sind ebenso zu finden, wie antike Steinfliesen.
Raj Bari ist eine Oase zum Wohlfühlen und Entspannen. Eine nahezu spirituelle Ruhe umgab mich beim Streifzug durch den weitläufigen Garten zum Pool. Der Pfad führte vorbei an zwei Teichen mit Wassergeflügel und dichter Mischvegetation aus Palmen, Bambus und Bougainvilleas. Überhaupt ist es die dichte, grüne Vegetation, die mich bezaubert. Sie passt bestens zum feucht-warmen Klima. Einige Mauern und Häuser, wie z.B. die Poolhäuser zum Umkleiden, sind kontrolliert von dichtem Blattwerk umwachsen. An manch einer Außenwand erstreckt sich der Stamm einer Palme in Richtung Sonne. Es verwundert nicht, dass Raj Bari der Hauch einer verwunschenen alten Residenz umweht.
Indien ist ohnehin extrem romantisch veranlagt. Es fällt leicht, sich hier wie eine Prinzessin im Märchen zu fühlen. Ich stelle mir vor, wie ich abends im Sari, die mit Kerzen beleuchtete Empore vom Innenhof zum Restaurant hinaufschreite. Indien hat mich weder voll in seinen Bann gezogen.
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